Wenn der Keller zum Lachen nicht tief genug ist

Geschrieben am 16.09.2024
von Redaktion

Ein ganz normaler Bundesligaspieltag in Deutschland. RB Leipzig spielt gegen Union Berlin, die Berliner Fans schweigen aus Protest gegen den Leipziger Klub die ersten 15 Spielminuten und am Ende geht das Spiel mit einem unspektakulären torlosen Unentschieden aus. So weit, so normal, so langweilig. Doch abseits des Platzes passiert etwas, das die Gemüter (zumindest Einiger) hochkochen lässt. Ein Kommentar von Lutz Hausstein.

Das Spiel war, gerade für Fußballästheten, nur mäßig spannend. Nichts, was längerfristig im Gedächtnis haften bleiben sollte. Doch ein Ereignis jenseits des Spielfeldes bestimmte die übliche Diskussion nach dem Spiel hauptsächlich. Denn zur Mitte der 1. Halbzeit heizte die Social-Media-Abteilung der Unioner den daheimgebliebenen Fans mit dem folgenden Post auf X ein:

„Halbe Stunde rum. Defensiv stabiler als jede sächsische Brücke. Weiter so, Jungs!“

Nicht einmal zwei Stunden später entschuldigte sich Union Berlin für den Kommentar und erklärte, dass man „im Eifer des Gefechts ein bisschen drüber“ gewesen sei.

Ob für diesen Sinneswandel nun Druck von einer anderen Seite (eher nicht mal von RB Leipzig) oder die eigene Reflexion des zuvor Geschriebenen verantwortlich war, lässt sich so natürlich von außen nicht beurteilen. Eines zeigt dieser Rückzieher aber überdeutlich: Scherze, auch mal härterer Natur, aber auch kleinere Provokationen sind in diesen Zeiten der permanenten Überwachung auf Zulässigkeit von Äußerungen kaum mehr möglich. Entweder übt man bei seinen öffentlichen Anmerkungen „freiwillige“ (Selbst-)Zensur oder man setzt sich dem harten Gegenwind eines öffentlichen Shitstorms aus, der zwangsläufig mit einer Selbstgeißelung zu enden hat.

Mein Gott! Nun bin ich selbst in Dresden geboren, habe zwei Jahrzehnte im nahen Umfeld von Dresden gelebt und bin noch heute in Sachsen ansässig. Ich bin also selbst „Betroffener“ dieses Kommentars und kann mir also eine nicht in Abrede zu stellende eigene Meinung aus erster Hand dazu erlauben.

Diese auf alle gesellschaftlichen Gebiete übergreifende political correctness erstickt jegliche abweichende Meinung, jeglichen Scherz, jegliche kleine Provokation, die oftmals erst die Würze in unserer Kommunikation sind, und wird damit selbst zum Merkmal einer Intoleranz. Selbstverständlich ist der Einsturz der Carolabrücke in Dresden aus vielerlei Gründen in bitteres Erlebnis für die Dresdner und ein Armutszeugnis für die Verlotterung der Infrastruktur dieses Landes. Es bietet sich ausreichend Gelegenheit, dies in einem ernsthaften politischen Kommentar zu analysieren. Doch aus welchem Grund sollte man dies nicht auch mal in einem ironischen Kommentar auf die Schippe nehmen dürfen?

Es kommt mir immer mehr so vor, als würden nicht nur politische Meinungsbildner zum Lachen in den Keller gehen, sondern gleich alle Personen in diesem Land, die über eine öffentliche Äußerung mehr als zwei Empfänger erreichen. Ach, was sage ich: nicht nur in den Keller, sondern dort noch in den selbstgegrabenen Brunnen, in den sie sich mit dem Schöpfeimer hinablassen und an dessen tiefstem Punkt sie im besten Fall eine verzerrte Grimasse sich zu schneiden trauen.

Ein bisschen mehr Toleranz, ein bisschen mehr Gelassenheit täte uns allen gut. Die Toleranz, auch andere Meinungen als das zu sehen, was sie sind: andere Meinungen. Und mehr Gelassenheit, um gutgemeinte Sticheleien und Provokationen (keine bösartigen!) als ebensolche zu verstehen.

Was haben die Ostdeutschen anfangs der Neunziger-Jahre nicht alles an Ossi-Witzen zu hören bekommen! Manche waren wirklich witzig, andere eher pseudowitzig. Aber oftmals liegt der Witz ja auch im Auge des Betrachters. Dann hat man etwas gequält mitgelacht, einen Augenblick später war das aber schon wieder vergessen. Erst zu dem Zeitpunkt, als diese Witze überhandnahmen und die Witze immer weniger witzig wurden, kippte das Ganze. Aber bis dahin war es ein gewisser Weg.

Oder was gab es früher für Unmengen an Blondinenwitzen! Von diesen waren nur überschaubar viele witzig, irgendwann triftete es mehr und mehr in Blondinen-Bashing ab. Aber trotzdem gab es gute, weil witzige Blondinenwitze. Es gab so manche Blondine, die mit einem verschmitzten Lächeln den neuesten Blondinenwitz erzählte. Und all diese sollten nun der schlechten Witze wegen der political correctness zum Opfer fallen?

Denkt man an Otto Waalkes, dann fallen einem auch sofort seine Ostfriesenwitze ein. Doch die Ostfriesenwitze haben eine viel längere Geschichte. Nicht jeder dieser Witze ist wirklich witzig gewesen, viele aber doch. Und vergleicht man sie mit den Blondinenwitzen, dann fällt auf, dass so mancher dieser Witze durch die jeweils andere Bevölkerungsgruppe seine Wiederauferstehung feierte. Es ging dabei also weniger um die Herabwürdigung des einen Personenkreises, sondern vielmehr um den Witz als solchen.

Ich kann mich nur wiederholen. Wir sollten wieder mehr Toleranz und Gelassenheit üben, nicht jeden Scherz, jede Stichelei und Provokation verdammen und der political correctness opfern. Nicht jeder Witz ist auch wirklich witzig. Manche gehen auch ungewollt daneben. Aber nicht jeder misslungene Witz ist einen Aufreger wert. Viel entscheidender sind Maß und Mitte. Andernfalls verknöchert die Gesellschaft immer mehr. Zumindest die öffentliche. Denn im privaten Umfeld, abseits der öffentlichen Meinungskundgebungen, sind solcherart Witze und Provokationen noch absolut gang und gäbe. Da lachen auch Sachsen über Sticheleien über eingestürzte sächsische Brücken.

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