Kanzler Scholz in Zentralasien

Geschrieben am 17.09.2024
von Redaktion

Durch den Krieg in der Ukraine – flankiert von den damit verbundenen strategischen Fehleinschätzungen des Westens, wonach die Welt angeblich dem Narrativ Washingtons, Londons, Berlins und Brüssels folgen würde, was bekanntlich nicht geschieht – sind die zentralasiatischen Länder stärker ins Rampenlicht gerückt. Trotzdem wird über Kasachstan in den hiesigen Medien immer noch viel zu wenig berichtet – und wenn, dann vor allem falsch. Von Ramon Schack.

Zentralasien – eine der großen Wachstumsregionen der Welt

Angesichts des begonnenen Staatsbesuchs von Bundeskanzler Scholz in der Region müssen die geneigten Konsumenten bundesdeutscher Medien den Eindruck gewinnen, bei Usbekistan und Kasachstan handele es sich um völlig unterentwickelte Staaten, welche es kaum erwarten können, ihre Arbeitskräfte in Richtung Bundesrepublik entsenden zu dürfen. Dieses gilt vor allem für Usbekistan.

Dabei ist Zentralasien eine der großen Wachstumsregionen der Zukunft, in denen sich neue Achsen der Macht herausbilden, welche für die Zukunft der EU von größter Bedeutung sind.

Boomtown Astana

Die kasachische Hauptstadt Astana, in der Olaf Scholz inzwischen eingetroffen ist, wirkt im Vergleich zu Berlin wie eine futuristische Vision. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Kapitale, die in den letzten Jahren an einer Stelle errichtet wurde, die vor noch nicht allzu langer Zeit nur für Steppe und nichts als Steppe bekannt war.

Kasachstan als größtes Binnenland der Welt, geographisch zwischen Russland und der Volksrepublik China gelegen, betreibt schon seit geraumer Zeit eine Außenpolitik, welche der geographischen Lage und dem wachsenden Einfluss des Landes entspricht. Die Hauptstadt Astana wird systematisch als Austragungsort von Foren und Veranstaltungen ausgebaut, welche die neuen Realitäten auf der Welt reflektieren.

Im vergangenen Jahr fand dort das Astana International Forum (AIF) statt, das globalen Mittelmächten als Plattform dienen sollte, eigene Ansichten und Positionen zu den brennenden Fragen der Zeit zu diskutieren und eigene Lösungsansätze jenseits der Vorgaben der alten und neuen Supermächte zu konzipieren. Über 1.000 Teilnehmer waren zugegen, darunter Staatsoberhäupter, Vertreter von internationalen Organisationen und NGOs sowie hochkarätige Experten aus den auf der Konferenz behandelten Themengebieten.

Aus der Bundesrepublik waren keine Besucher angereist – mit Ausnahme des Verfassers dieses Beitrages, der damals von dort für die Berliner Zeitung berichtete. Diese Abwesenheit von Bundesbürgern damals war schon deshalb bemerkenswert, weil das Astana Forum kurz vor dem Staatsbesuch von Bundespräsident Steinmeier stattfand, aber auch, weil Kasachstan als das neuntgrößte Land der Welt für die Energieversorgung der Bundesrepublik immer wichtiger wird.

Außenministerin Baerbock entblödete sich auch nicht, während ihres Besuches in Kasachstan und Usbekistan Ende 2022 zu äußern:

„Mir ist wichtig, dass die Zukunft für sie nicht nur die Wahl zwischen der engen Zwangsjacke im Vorhof von Russland und der Abhängigkeit von China bereithält.“

Inzwischen, zwei Jahre später, sind Baerbocks Äußerungen von damals höchstens noch Ausdruck des Scheiterns einer Außenministerin an den geopolitischen Realitäten der Welt.

Die Tigerstaaten von heute

Kasachstan wird von einem explosiven und dynamischen Wirtschaftswachstum erfasst, das im ganzen Land zu spüren ist, aber sich in der neuen Hauptstadt geradezu manifestiert.

Die Ausgangslage ist vergleichbar mit der in den sogenannten Tigerstaaten in Ost- und Südostasien in den 1980er- und 1990er-Jahren. Deren phänomenaler Aufstieg vollzog sich damals übrigens nicht unter demokratischen Verhältnissen – was immer man auch im Westen darunter verstehen mag –, sondern unter autokratischen Regimen, teilweise Militärdiktaturen. Diese liberalisierten sich erst später, aber auch nicht immer, übernahmen dabei aber nie vollständig das Modell des Westens.

Kasachstans Aufstieg wird von der gescheiterten westlichen Sanktionspolitik gegenüber Russland befördert, basiert aber natürlich auf der geographischen Lage und den unendlichen natürlichen Ressourcen. Gerade in Berlin sollte man sich darüber bewusst sein, dass Kasachstan zunehmend für die energiepolitische Versorgung der Republik verantwortlich ist.

In diesem Sommer fand in Astana der SCO-Gipfel statt, welcher von allerlei bilateralen Treffen flankiert wurde. Neben Chinas Präsident Xi Jinping war auch Wladimir Putin anwesend. Die beiden Nachbarstaaten haben dabei das Ziel ausgerufen, den bilateralen Handel zu verdoppeln. Ferner ließ Xi Jinping verlautbaren, die Volksrepublik protegiert einen Beitritt Kasachstans zur Gruppe der BRICS-Staaten.

Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass der Gipfel in westlichen Medien und von westlichen Politikern kritisch bis ablehnend kommentiert wird. Im ZDF wurde das Treffen als ein „Despoten-Gipfel“ geschmäht, wobei offenbar übersehen wurde, dass die Shanghaier Organisation fast die Hälfte der Weltbevölkerung in ihren Grenzen repräsentiert und der NATO-Staat Türkei ebenfalls Mitglied ist.

Die Shanghai Cooperation Organisation und BRICS

Aber mit der Aufnahme von Belarus in die Shanghai-Organisation grenzt dieses eurasische Bündnis direkt an die EU. In den NATO-Staaten sollte man dies nicht als Warnung betrachten, aber als Mahnung – als eine Art Weckruf, dass der Prozess der Verwestlichung der Welt, den Francis Fukuyama einst als „Ende der Geschichte“ zu bezeichnen pflegte, schon zum Stillstand gekommen ist.

In Astana wurde an jenen Tagen im Sommer 2024 ein neues Bild der Welt gezeichnet, welches schon aufgrund der Heterogenität der Mitgliedsstaaten, deren innerer Rivalität und unterschiedlichen strategischen Interessen sicher nicht perfekt ist – man denke nur an das Konfliktpotential in den Beziehungen zwischen Indien und China. Aber es ist doch ein Bild, welches den multipolaren Realitäten unserer Epoche entspricht. Olaf Scholz wird auch dem Treffen von fünf zentralasiatischen Staatschefs beiwohnen. Dieses sogenannte Fünf-plus-eins-Format hatte im vergangenen Jahr in Berlin seinen Ursprung und soll nun in Astana fortgesetzt wird. Der deutsche Bundeskanzler wäre gut beraten, wenn er dort nicht nur als Redner auftreten würde, sondern vor allem als Zuhörer.

Titelbild: Shutterstock / Peter Hermes Furian