Syrien unterliegt seit vielen Jahren umfassenden EU-Sanktionen, unter denen mit Abstand die Zivilbevölkerung am meisten leidet. Die EU-Kommission und auch zahlreiche Außenminister von EU-Staaten haben diese Woche verkündet, dass eine Aufhebung dieser Sanktionen erst erfolgen wird, wenn die neue Übergangsregierung die russischen Luftwaffen- und Marinebasen in Syrien schließt. „Wir wollen die Russen raushaben“, dies sei der erste Schritt, bevor man über die Beendigung der Sanktionen sprechen könne, hieß es dazu aus Brüssel. Die NachDenkSeiten wollten wissen, ob die Bundesregierung diese Forderung unterstützt und wenn ja, wie diese Konditionalisierung sich mit der sonst bei anderen Ländern propagierten „freien Bündniswahl“ verträgt. Von Florian Warweg.
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„Den russischen Einfluss loswerden …“
Am 16. Dezember hatte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas nach dem ersten Treffen der EU-Außenminister unter ihrer Leitung erklärt, dass man übereingekommen sei, es zur Bedingung für die Aufnahme von Beziehungen „zur neuen syrischen Führung“ zu machen, dass „sie den russischen Einfluss loswird” und die dortigen russischen Militärbasen schließt. Zudem betonte sie:
„Extremismus sowie Russland und der Iran sollten in der Zukunft Syriens keinen Platz haben.“
Ähnlich äußerte sich auch der spanische Außenminister José Manuel Albares. Laut ihm müsse die EU „mit den neuen Behörden“ sprechen, um „rote Flaggen für Syriens Zukunft” aufzuzeigen. Auch solle sichergestellt werden, „dass es keine ausländische Einflussnahme in Syrien gebe“. Eigentlich unnötig zu präzisieren, dass sich diese Aussage nur auf den russischen und iranischen Einfluss bezog. Die Einflussnahme der USA, der Türkei oder selbst der Golfstaaten führt offensichtlich nicht zu Missfallen der EU-Vertreter – von deren eigenen Träumen, entsprechend Einfluss auf Damaskus auszuüben, ganz zu schweigen.
Nichtdestotrotz wurde der niederländische Außenminister Caspar Veltkamp noch deutlicher. Wohl wegen der Befürchtung, dass man die etwas allgemeinere Aussage seines spanischen Amtskollegen doch als generelle Verhinderung ausländischer Einflussnahme missverstehen könnte, erklärte dieser unmissverständlich:
„Wir wollen die Russen raushaben. Dies ist ein erster Schritt, bevor man über das Aufheben von Sanktionen gegen Syrien reden kann.“
Die ganze (zynische) Doppelmoral der EU zeigt sich exemplarisch in diesem Agieren. Sanktionen, die vor allem die Zivilbevölkerung treffen und entgegen der offiziellen Darstellung auch den Zugang zu Lebensmitteln und lebensnotwendigen Medikamenten erschweren bis verunmöglichen, werden instrumentalisiert, um Einfluss auf das Bündnisverhalten der neuen syrischen Machthaber zu nehmen. „Freie Bündniswahl“ gilt scheinbar nur, wenn dies westlichen Bündnissen zugutekommt.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 18. Dezember 2024
Frage Warweg
Herr Wagner, Syrien unterliegt ja nach wie vor einem sehr umfassenden Sanktionsregime. Jetzt kam aus der EU-Kommission und auch gestützt von einigen EU-Hauptstädten die Forderung auf, dass man die Aufhebung der Sanktionen dermaßen oder in der Form konditionalisiert, dass man sagt, die würden erst aufgehoben, wenn die russischen Stützpunkte in Tartus und Hmeimim aufgekündigt werden. Da würde mich interessieren: Unterstützt denn die Ministerin diese Forderung, oder spricht sie sich eher dagegen aus?
Wagner (AA)
Danke, Herr Warweg, für die Frage. Das knüpft ja im Grunde auch an eine Thematik an, nach der hier vorher auch schon gefragt worden ist. Natürlich ist die Frage, wie wir jetzt mit Blick auf Syrien mit den bestehenden Sanktionen umgehen, eine wichtige, die jetzt auch international sehr intensiv beraten wird. Es ist ja einfach so, dass es da eine Lageentwicklung gibt. Wir sind ja nicht mehr dort, und man hat ja die Entwicklung auch nicht voraussehen können, wo wir vor zwei Monaten waren, als sozusagen große Teile Syriens noch unter der Kontrolle des Assad-Regimes standen. Insofern ist das eine Diskussion, die geführt wird. Ich kann jetzt hier sozusagen nicht vorschattieren, wo es hingehen wird. Aber es stellt sich natürlich die Frage, wie man die Weichen stellen kann, um die Stabilisierung Syriens eben auch von internationaler Seite her zu begleiten.
Weil Sie mich nach dem russischen Einfluss in Syrien fragen: Ich glaube, es hat in Damaskus keiner so richtig vergessen, wie sich Russland in den letzten Jahren in Syrien betätigt hat und mit welcher Gewalt auch gegen die Zivilbevölkerung Russland dort aufgetreten ist, mit welchen Bomben. Insofern ist das, glaube ich, ein Aspekt, der in der Bewertung Russlands zukünftiger Rolle in Syrien auch bei den Menschen dort eine gewisse Rolle spielt. Aber ich spekuliere jetzt hier nicht über Konditionierungen oder sozusagen über die weiteren Entwicklungen. Das sind alles Diskussionen, die jetzt geführt werden.
Zusatzfrage Warweg
Das ist ja nicht nur eine Spekulation. Das wurde explizit aus Brüssel so kommuniziert. Da wäre meine Verständnisfrage, jetzt unabhängig von Russland: Generell wird ja auch von der Bundesregierung eine freie Bündniswahl propagiert. Wie sieht sich denn die Bundesregierung in Bezug auf die Aufhebung der Sanktionen? Will sie das als Instrument nutzen, um Einfluss auf die Bündniswahl der aktuellen Übergangsregierung auszuüben, sei es in Bezug auf China oder auf Russland, oder ist die Aufhebung der Sanktionen davon völlig unbenommen?
Wagner (AA)
Herr Warweg, ich glaube, wir werden da nicht zusammenkommen, weil wir da eine sehr unterschiedliche Auffassung haben. Aber ich glaube, es wäre ein großer Fehler, darzustellen, dass die Rolle, die ein großer Teil der internationalen Gemeinschaft, die Deutschland, Europa sowie die amerikanischen Partner spielen können, und die Rolle, die Russland in breiten Teilen dieser Welt spielt, sozusagen auf einer gleichen Ebene zu betrachten wären. Russland führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine. Russland nimmt einen sehr destruktiven Einfluss in breiten Teilen der Welt. Ich will den Sahel nennen, ich kann aber eben auch auf die Geschichte in Syrien schauen. Insofern, glaube ich, wird so etwas bei einer Bewertung dessen, was Sie als Bündnisfreiheit beschreiben, sozusagen der Partnerschaft, die man da eingehen kann, auch eine Rolle spielen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 18. Dezember 2024
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